Was genau gehört zum Breddeviertel?

Nordstraße in Witten (Foto: Hendrik Glathe)

Bredeviertel ist ein Viertel in der Wittener Innenstadt. Was verstehen wir eigentlich unter dem Bredeviertel?

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Stadt-Erweiterungsfläche

Als die Bebauung im Bereich der Breitestraße entstand, hieß dieser Stadtbereich „Stadt-Erweiterungsfläche“, erzählt Ralph. Das Gebiet hieß auch der nördliche Stadtteil, manchmal auch Nordstadt, aber auch nördliches Stadtviertel. Das kann man so im Verwaltungsbericht der Stadt Witten nachlesen. Niedergeschrieben wurde das im Lagerbuch, das ist eine Art Grundbuch aus der damaligen Zeit. Die Grundstücke in diesem Gebiet wurden immer als Bredde charakterisiert, weil sie auf der Bredde lagen. Daher auch Breddeviertel. Von Viertel hat in Witten trotz des offiziellen Namens damals niemand gesprochen. Die Stadt war viel zu klein und ist es auch heute noch, um sie in Viertel zu zerlegen.

Der Begriff „Viertel“

Die ersten Belege für die Verwendung des Begriffs „Viertel“ gab es Ende der achtziger Jahre in einer Veröffentlichung von Professor Schoppmeyer gefunden. Er bezeichnete einen Teil des nördlichen Stadtviertels als „Hohenzollernviertel“. Eine irreführende Bezeichnung. In der zweiten Episode unseres Podcasts haben wir erklärt, dass das mit den alten Straßennamen zusammenhängt. Aber im Prinzip ist es niemals so genannt worden, auch bis heute hat es keine Relevanz.

Die Bezeichnung „Johannisviertel“ ploppt immer wieder in Publikationen auf. Doch wo beginnt und endet das Viertel?
Die Bezeichnung „Johannisviertel“ ploppt immer wieder in Publikationen auf. Doch wo beginnt und endet das Viertel?

Ende der 1990er Jahre gab es eine Initiative von Geschäftsleuten, die das Johannisviertel kreierten. Initiatoren waren Ladenbesitzer aus der Johannisstraße und Bonhoefferstraße. Sie veranstalteten Stammtische und Aktionen, um sichtbarer zu werden. Die Bezeichnung konnte nicht verstetigt werden.

Wiesenviertel

Erst 2013 wurde wieder von „Vierteln“ in Witten gesprochen. Den Wiesenviertel e.V. gab es damals noch nicht. Eine Initiative überlegte Marketingstrategen, wie sie die Wiesenstraße besser vermarkten könnte. Mit bestimmten Schlagworten aus dem Arsenal der Stadtplaner (Stadtentwicklung, Quartiersentwicklung, Quartiersidentität, urbanes Potenzial, Raumstruktur, Bezüge, Stadthalle, Profile, zukunftsfähig, kreativ, Wirtschaft usw.) wurden die damals aus Steuermitteln finanzierten Läden vermarktet.

Wiesenviertel-Podcast über die Entstehung des Wiesenviertels

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Verschönerungsverein Hohenzollernviertel

Im Jahr 2016 setzte sich die Nachbarschaftsinitiative Nordstraße für eine Verschönerung ihrer Nachbarschaft ein. Sie begannen unter Nachbarn Feste zu feiern, um sich besser kennenlernen. Es gab damals die Homepage witten-nordstrasse.de. 2016 wurde der „Verschönerungsverein Hohenzollernviertel“ gegründet. Dem Verein oder seinen Mitgliedern kann man natürlich nicht vorwerfen, sie haben einfach Professor Schoppmeyer gelesen und geglaubt, was der Herr Professor geschrieben hat.

Warum sich aufgeklärte, engagierte, weltoffene, demokratische Menschen im Jahr 2016 dafür entschieden haben, ausgerechnet den Namen eines preußischen Adelsgeschlechts zu nehmen, beantwortete sie mit dem Satz: „Ja, der Name klingt so vornehm und elitär.“ Andere schreckt der Name jedoch ab.

Der Hohenzollernverein hat sich zum Ziel gesetzt sein Viertel zu verschönern. (Foto: MS)
Der Hohenzollernverein hat sich zum Ziel gesetzt sein Viertel zu verschönern. (Foto: MS)

Integriertes städtebauliches Entwicklungskonzept Witten

Im Jahr 2017 haben Stadtplaner den Begriff „Viertel“ aufgegriffen und mit ihrem integrierten städtebaulichen Entwicklungskonzept für die Innenstadt – das es offiziell seit zwölf Jahren gibt – gleich sieben Viertel identifiziert, die es in Witten geben soll. Mit dem Gebrauch des Begriffs Viertel durch den inzwischen auch fast organisierten Wiesenviertel e.V. und die Stadtplaner hat sich dieser Begriff nach und nach in Witten durchgesetzt. Er steht in der Zeitung, manche Leute glauben, sie wissen, was gemeint ist, wenn Johannesviertel, Cityviertel, Wiesenviertel, Lutherparkviertel usw. gesagt wird. Und das alles ist aber erst wenige Jahre alt.

Die Entwickler des Integrierten städtebaulichen Entwicklungskonzeptes (ISEK) unterteilen die Wittener Innenstadt in Sieben Viertel. (Grafik: Marek Schirmer / Daten: Openstreetmap & Mitwirkende)
(Grafik: Marek Schirmer / Daten: Openstreetmap & Mitwirkende)

„Wenn ich als Historiker spreche, spreche ich über eine durch Geschichten gemachte Tatsache und über die Menschen, die diese Tatsache geschaffen haben. Wenn der Wiesenviertel e.V. spricht, dann sprechen sie über ein Produkt, das möglichst profitabel vermarktet werden soll. Wenn die Stadtplaner oder das Stadtplanungsamt sprechen, sprechen sie über ein Gebiet, in dem sie aus unterschiedlichen Gründen intervenieren wollen.“

Ralph Klein im Podcast

Die Stadt Witten mit ihren sieben Vierteln zieht ganz andere Grenzen als der Wiesenviertel. Es gibt keine offizielle Definition von Viertel. Es gibt Bezirke, Wahlbezirke, Schiedsmannbezirke – es gibt Stadtteile. Das ist alles offiziell festgelegt, wie auch die Namen von Straßen und Plätzen. Viertel ist eine beliebige Größe.

Im städtebaulichen Entwicklungskonzept trennt die „City“ das Bredde- und das Wiesenviertel. In den 70er Jahren sprachen die Stadtplaner noch von nördliche und südliche Innenstadt.

Die Stadt wird immer mehr zu einem Produkt, das verkauft werden soll.
Da steckt ein bestimmtes Verständnis von Stadt dahinter.

Ralph Klein

Für uns, Ralph und Kerstin, ist die Stadt ein sozialer Raum, der von den Menschen, die in ihm leben, arbeiten, träumen, in ihm ihre Freizeit verbringen, gemacht und umgestaltet wird. Und das zeigt sich auch ganz deutlich: Die Stadt verändert sich ständig.

Breddeviertel

Ralf hat sich durch das Stadtarchiv gewühlt und viele Akten durchgesehen. Deswegen gibt es Gründe, warum das Viertel, das wir heute Breddeviertel nennen und in unserem Podcast besprechen, dieses Viertel ist. Wir beginnen an dem denkmalgeschützten runden Kiosk nördlich des Rathauses.

Der Kiosk ist eine Ecke des Dreiecks, das das Gebiet darstellt, zwischen der Wideystraße, der Breitestraße und der Brddestraße, das wir durchwandern und darstellen wollen.

Geschichte des Breddeviertels

1842 nannte man dieses Viertel Bredde, und es hat einen Grund. Wir lernten den Namen Hohenzollernviertel kennen und daraufhin hat Ralph angefangen zu recherchieren, ob dieses Viertel überhaupt einen Namen trägt und wenn ja welchen. Und es hatte gar keinen Namen. Für alle Wittener war das immer irgendwie das Viertel an der Gedächtniskirche oder das Viertel am Haus der Jugend oder an der Ecke vom Karl-Marx-Platz.

Bevor hier irgendwelche Häuser standen, war es ein Riesenfeld und das hieß Bredde.

Der Platz an der ehemaligen Gedächtniskirche ist als Name verwirrend. Wo ist denn eigentlich diese Kirche, nach der dieser Platz heißt? Die Kirche spielt eine gewisse Rolle bei der Namensgebung dieses Viertels, bei der angeblichen Namensgebung als Hohenzollernviertel. Wenn man oberhalb des Platzes der Gedächtniskirche steht, sieht man, das Terrain neigt sich abwärts nach rechts zur Wideystraße am Kreisverkehr entlang, dann kommt die Gartenstraße, die Mozartstraße und dann die Uthmannstraße. Diese Straßen führen alle abwärts, und dieses Gebiet ist das erste Stadt-Erweiterungsgebiet der Stadt Witten. Hier haben also Stadtplaner vor 150 Jahren gesagt, aus diesem Feld machen wir jetzt mal eine Siedlung. Die Stadtväter hatten das Problem, dass jede Menge ausländischer Arbeitsmigranten, überwiegend Männer, zunächst nach Witten strebten, die zudem noch eine fremdartige Religion mit sich brachten, also die kamen zum Beispiel aus Hessen und waren oft katholisch. Für diese Menschen musste jetzt Wohnplatz geschaffen werden.

Witten war ein kleines Ackerbürgerstädtchen, und am Rand befand sich eine breite Wiese. Viele Ackerbürger Wittens hatten hier ein Stückchen Land oder auch einen etwas größeren Garten, in dem sie Gemüse für die Selbstversorgung anbauten. Um 1850 gab es noch keine Lebensmittelgeschäfte wie wir sie heute kennen; lediglich der Viktualienmarkt auf dem Platz, der heute Kornmarkt heißt, war vorhanden.

Die Stadtplaner überlegten sich, dass sie hier etwas bauen wollten für die vielen Leute, die sich hier niederlassen sollten. Das Gebiet des Breddeviertels lag nahe der Innenstadt, der Kirchen, und des Marktes. Es war nicht weit vom damaligen Bahnhof entfernt, der sich dort befand, wo heute die bosnische Moschee steht, also in der Ecke Herbeder Straße und Breite Straße.

Dieses Gebiet war relativ stark frequentiert und verkehrsgünstig gelegen. Es eignete sich auch hervorragend für die Anlage einer Kanalisation, da die Neigung nicht zu steil war. Die Stadt Witten hatte damals keine Möglichkeit, zu planen, was im Stadt-Erweiterungsgebiet gebaut werden sollte. Sie konnte nur die Infrastruktur festlegen und die Straßen vorsehen. Das Land konnte von den Eigentümern frei bebaut werden, da es in Preußen Baufreiheit gab.

Es wurden Häuser gebaut, die Profit brachten. Doch nicht alle wurden nach den Kriterien des heutigen Schicks ausgewählt. Viele der sogenannten schicken Häuser waren dennoch von Arbeitern bewohnt. Die Stadt Witten hatte keine Kontrolle darüber, was auf dem Bauland entstand; die Bauherren entschieden allein.

Es entstanden sowohl Häuser für gut situierte Freiberufler wie Architekten, Ärzte, Juristen und Beamte, als auch Häuser für Arbeiter, Handwerker und Klein­gewerbetreibende. Dies geschah einzig und allein aufgrund des Profitstrebens der Bauherren.

Es gab keine Möglichkeit, irgendwas zu planen. Von daher sind auch Ausführungen der älteren lokalgeschichtlichen Literatur, dass die Stadt Witten geplant hätte, hier ein repräsentatives Bürgerviertel quasi als Eingang zur Stadt anzulegen, schon von daher nicht zutreffend. Die Stadt hatte keine rechtliche Befugnis, irgend etwas zu planen. Die erste so genannte Zonenbebauung wurde in den 1890er Jahren, also 30 Jahre nach der Planung dieses Gebietes, erlassen. In diesem Zonenbauplan wurde erstmalig für Witten festgelegt, wo Gewerbe- und Industriegebiete sowie Wohngebäude errichtet werden sollten.

Wir reden jetzt von der Uthmannstraße, der Beethovenstraße und der Mozartstraße. Diese hatten früher andere Namen. Die Beethovenstraße hieß Bismarckstraße, die Mozartstraße hieß Moltkestraße. Die Anfangsbuchstaben blieben gleich, aber andere Namen wurden eingeführt. Die Uthmannstraße war früher die Roonstraße. Diese Straßen hatten früher Namen, die mit unserer Geschichte zu tun hatten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es  zur großen Umbenennung der Straßen und Plätze. Der Königsplatz wurde zum Karl-Marx-Platz, der Wilhelmsplatz wurde umbenannt in Carl von Ossietzky Platz und die Straßen erhielten neue Namen. Bei der Gelegenheit wurde der Arbeitersänger Uthmann auch gewürdigt.

Die drei Herren, Bismarck, Moltke und Roon hatten ein wenig mit den Hohenzollern zu tun. Sie waren keine Adeligen, zumindest anfangs nicht. Bismarck war einer des Reichseinigungs-Trios, wie man es historisch nannte. Es waren die drei Männer, die als Kanzler des Deutschen Reiches, als Generalstabschef der Deutschen Reichswehr und als Kriegsminister in drei Kriegen die Reichseinigung durchsetzten. Die Gedächtniskirche sollte angeblich auch an dieses Ereignis erinnern.

Aber die Gedächtniskirche erinnerte an die Reformation und erst an dritter Stelle des Erinnerns kam der Dank an die Hohenzollern für die Wohltaten, die sie der evangelischen Religion in Preußen geleistet haben. Das ist eher ein formaler Dank, als wenn heute auf Bauschildern steht, dass das Bauvorhaben mit EU-Mitteln gefördert wird.

Warum steht die Gedächtniskirche ausgerechnet hier? Die ältere historische Literatur vermutet, dass es daran liegt, dass hier das Hohenzollernviertel gewesen sei. Nein, das war nicht der Fall. Die evangelische Kirchengemeinde in Witten suchte im Zuge der inneren Mission, die ja der eher sozialistisch gesinnten Arbeiterschaft damals diente, einen Standort für eine evangelische Kirche, die 900 Menschen aufnehmen könnte und die außerdem einen Platz hatte, wo sie hoch über Witten von allen Seiten sichtbar thronen konnte, als Zeichen dafür, dass die Kirche über allem steht. Daher war dieser Platz einer der wenigen Bauplätze, die in den 1880er Jahren noch auf dem Markt zu haben waren. Deshalb kam dieser Platz als Standort infrage.

Wenn man sich alte Panorama-Aufnahmen von Witten ansieht, dann sieht man, die Gedächtniskirche war von überall her zu sehen. Jetzt steht sie ja nicht mehr. Es gab in den zwanziger Jahren Absackungen in der Erde durch Bergschäden. Der Boden hier unter dem Platz war fließendes Wasser, und das Gestein hielt nicht so gut. Jedenfalls ist sie nach dem Bergschaden wieder schön hergerichtet worden, und dann ist sie aber im Zweiten Weltkrieg den Bomben zum Opfer gefallen und hat hier noch bis 1967 als Ruine gestanden, was ein wunderbarer Spielplatz für uns Kinder war, verboten, aber sehr interessant.

Und was geschah 1946? Warum heißen die Straßen heute anders? Erfreulicherweise hatten die damaligen Stadtratsmitglieder einen Anflug geistiger Erhellung. Jedenfalls benannten sie erstens die Straßen wieder um, die die Nazis nach irgendwelchen Nazigrößen benannt hatten. Also aus dem Adolf-Hitler-Platz wurde wieder der Marktplatz, aus der Horst-Wessel-Straße wurde wieder die Annenstraße, aus der Hermann-Göring-Straße die Bebelstraße und so weiter. Und wo sie dabei waren, den Schrott der Vergangenheit aufzuräumen, haben sie scheinbar auch den Hohenzollern-Schrott, also die feudalen Relikte, die in unserer Stadt sichtbar waren in Form von Straßennamen, ein für alle Mal aus dem Weg geräumt. Das ist eine sehr lobenswerte Ausnahme unter den Ruhrgebietsstädten. In Dortmund zum Beispiel gibt es noch jede Menge von diesen preußischen Adeligen und Kriegsherren, in Münster musste noch vor kurzem eine große Auseinandersetzung geführt werden, um den Hindenburgplatz endlich wieder in einen Schlossplatz umzubenennen.

In Bochum gibt es immer wieder Forderungen, diese alten demokratiefeindlichen Figuren aus dem Straßenbild zu entfernen. Da gab es zum Beispiel mal die Lüderitzstraße, die dann Ende der neunziger Jahre umbenannt wurde.

Ossietzky Platz

Rund um den Ossietzky Platz entwickelte sich eine gute Infrastruktur. Das Geschäft auf der Ecke Galenstraße – Wideystraße zum Beispiel, heute ein Polstermöbelgeschäft, war damals ein Lebensmittelgeschäft. Das heutige „Trotz Allem“ war eine Metzgerei. Mindestens drei Kneipen lagen am Platz oder sogar vier, und es gab Bäcker und alles Mögliche, was man so braucht. Die Leute, die hier wohnten, haben sich nie weiter als 200 Meter von ihrem Viertel entfernt, sind also in ihrem Viertel geblieben.

Von hier ab geht ja die Galenstraße, die früher Wilhelmstraße hieß. Das war eine Verbindungsstraße. Sie sollte nach den alten Plänen, wie in den Quellen zu lesen ist, das obere nördliche Stadtviertel mit dem unteren nördlichen Stadtviertel verbinden. Also, das nördliche Stadtviertel war der historische Name dieses Stadtentwicklungsgebietes, das Breddeviertel nannte man es auch, manchmal Nordstadt, sowie die heute noch in Dortmund bekannte Nordstadt. Und dass will natürlich heute keiner hören in Witten. Nordstadt erinnert an Kriminalität, Prostitution. Der Name ist einfach nicht schön, aber früher, so ist es tatsächlich so in den alten Quellen, wurde vom Nordviertel oder von der Nordstadt gesprochen, und das über die untere Nordstadt und die Gegend oben um das Marienhospital die obere Nordtsadt. Da war auch eine Schule, die Kirche natürlich, und diese beiden Teile sollten durch die Wilhelmstraße verbunden werden. Die war übrigens nur ein schlecht ausgebauter Weg. Es gab so gut wie keine Bebauung anfangs, also um 1870, und die Fertigstellung der Wilhelmstraße hat am aller längsten von allen Straßen Fertigstellungen gedauert, weil es hier Eigentümer gab, die auf gar keinen Fall auch nur einen Quadratmillimeter Boden an die Stadt verkaufen wollten. Das heißt, die Stadt musste hier verschiedene Enteignungsverfahren durchführen, um irgendwann mal in der Lage zu sein, eine vernünftige Straße anzulegen.

Die Breitestraße in Richtung Karl-Marx-Platz ist die zweite Achse des Dreiecks, also hier auf dem Ossietzki-Platz ist die zweite Spitze, die erste war am Kiosk und jetzt gehen wir zur dritten Spitze.

Breite Straße

Die Leute glauben immer, die Breite Straße heißt Breitestraße, weil sie eine breite Straße sei. Wie man sieht, ist es noch heute Quatsch. Die preußischen Gesetze schrieben vor, dass eine Straße in Preußen 24 Fuß breit zu sein hatte, also rund 7,50 m, und das galt für alle Straßen, das galt für die Nord, für die Breite, für die Uthmannstraße und so weiter. Wenn man das heute mal nachmisst, sind die Straßen immer noch fast genau 24 Fuß breit in ganz Witten, außer natürlich die Husemannstraße zum Beispiel, also die großen Durchgangsstraßen. Aber das waren damals schon bis auf die Husemannstraße überörtliche Straßen, also staatliche Straßen, sogenannte Chausseestraßen: Crengeldanz Straße, Sprockhöveler Straße, Hörder Straße, keine kommunalen Straßen.

Außerdem musste eine Straße auf jeder Seite einen 8 Fuß breiten Bürgersteig haben. Das haben wir in Witten oft nicht mehr, stattdessen haben wir ja überall diese viel zu vielen Parkplätze. Aber warum heißt die Breite Straße Breite Straße, und wo kommt der Name überhaupt her, und was hat sie für einen städtebaulichen Zweck?

Die Breite Straße existierte bis 1860 ungefähr nur von der Kreuzung Herbeder Straße -Bahnhofstraße bis zum heutigen Karl-Marx-Platz, und es war eine Privatstraße. Die gehörte dem Sägewerksbesitzer Rüping. Rüping war einer der größten Grundstücksbesitzer hier in diesem Stadtentwicklungsgebiet, und er verdiente eine Menge Geld an der Stadterweiterung, weil er seine Grundstücke an interessierte Bauherren verkaufen konnte, nachdem die Straßen offen gelegt waren. Er hat sich dann eine schöne Villa an der Ruhrstraße gebaut. Das ist das heutige Gebäude der Kreissparkasse. Er ist also hier weggezogen.

Die Bahn hatte ein kleines Problem. Die heutige Bahnlinie nach Dortmund verlief etwas weiter in Richtung zu uns hin, sie macht ja so eine Kurve um die Wittener Innenstadt und führt am Sonnenschein vorbei nach Dortmund. Früher ging die Bahnlinie durch die Jahnstraße. Man kann die Brücke heute noch sehen, also durch die Jahnstraße auf das heutige Gelände des Ausbesserungswerks an der Kesselstraße. Die Brücke ist noch erhalten, darunter verliefen die Gleise, und genau an diesem Bahndamm entlang gingen die Leute, die aus Richtung Bochum kommend in die Wittener Innenstadt wollten. Sie hätten sonst den Crengeldanz hinauf bis zum Marienhospital gehen müssen und dann die Hauptstraße runter in die Innenstadt. Das war den meisten zu weit. Der Bahnhof befand sich am Ende der heutigen Breitestraße, also eben da, wo die Moschee ist, und der kürzeste Weg aus Richtung Bochum war über den Bahndamm dahin zu gehen. Wenn man sich das bildlich vorstellt, der Bahndamm bildete die Sehne eines Halbkreises, der vom Crengeldanz über das Marienhospital runter zur Bahnhofstraße und zum Bahnhof führte. Das war der Bahn ein Dorn im Auge, dass die Leute da in Scharen den Bahndamm als Fußweg benutzten. Deswegen wurde die Breitestraße verlängert und erhielt die heutige Trassenführung.

Und dann gibt es noch eine Besonderheit, die Professor Schoppmeyer herausgefunden hat. Einige Grundstückseigner der Breitestraße wollten keine Grundstücke dafür hergeben, dass die Breite Straße quasi wie mit dem Lineal gezogen geradeaus ging. Das führte dazu, dass die Breite Straße ein bisschen weiter in Richtung Südosten verlegt wurde. Dadurch entstand dann der Knick, den man noch heute am Karl-Marx-Platz in der Straßenführung sieht. Dadurch liegt die Breite Straße so, wie wir sie jetzt kennen, auf den mittelalterlichen Gemarkungsgrenzen. Also, wenn man ein Stück Mittelalter in Witten sucht, dann findet man das hier unter der Breiten Straße, wo die alten Gemarkungsgrenzen verliefen.

Ich wollte noch ein bisschen was über die Häuser sagen. Es gab ja im Muttental die Zeche Nachtigall, und die ist dann ziemlich früh nicht mehr zum Kohleabtragen oder -schürfen genommen worden, und dann gab es die Ringbrennöfen, in denen Backsteine gebrannt wurden. Wir hatten in Witten ungefähr zehn Ziegeleien, und alle haben eifrig für den Hausbau in Witten produziert. In der Zeit, als dieses Viertel gebaut wurde, also zwischen 1870 und 1900, wurden auf der Zeche Nachtigall auch noch Kohlen abgebaut. Und eine einzige Ziegelei konnte bestimmt nicht den gesamten Bedarf für den Hausbau für dieses Gebiet liefern. Eine Ziegelei war am Crengeldanz, also heute ist das die Ecke Oberkrone-Hermannstraße. Wir hatten die Ziegelei im Wullen, das ist da, wo heute die Uni ungefähr ist, und verschiedene andere große Ziegeleien.

Die Häuser waren also aus Ziegeln gebaut, was ein preiswerter Baustoff war. Wir stehen jetzt hier gerade an der Breiten Straße vor dem Ruhrgymnasium. Es sieht aus wie Sandstein und war ein bisschen teurer, ist also sozusagen ein repräsentatives Gebäude gewesen, das schon 1868 errichtet wurde. Es kann gut sein, dass es eine Ziegelmauer ist und nur eine Verblendung hat mit Sandstein.

Karl-Marx-Platz

Der Karl-Marx-Platz ist keine Ecke, anders als der Carl-von-Ossietzky Platz. Der liegt auf einem der Schenkel des Dreiecks des Breddeviertels. Man müsste dann die Nordstraße weitergehen bis zur Breddestraße, und die Ecke Nordstraße-Breite Straße wäre dann die dritte Ecke des Dreiecks. Man könnte aber auch sagen: die Kreuzung Breite Straße-Bahnhofstraße ist die Ecke.

Als hier geplant wurde, gab es hier im Grunde nur vielleicht maximal 15 Häuser in dem gesamten Gebiet. Ein Haus, das schon da war, das Haus Nordstraße 20, das alte Bruchsteinhaus, das ist das mit Abstand älteste Haus weit und breit in dieser Gegend. Es gab wahrscheinlich die Gebäudekomplexe, wo jetzt die Pizzeria drin ist, Breite Straße 33, und dahinter lag eine Schmiede, die dürfte es schon gegeben haben. Aber zum Beispiel die Bebauung in der Gartenstraße gab es nicht, das Haus Karl-Marx-Platz zehn gab es nicht. Das war freies Gelände, das man irgendwie bebauen konnte, und dann ist ein quadratischer Platz angelegt worden. Nicht ganz quadratisch, weil eben einige Eigentümer verhindert haben, dass die Breitestraße schnurstracks geradeaus führte. Im Prinzip war er quadratisch. heute ist es so, dass die Breite Straße das, was früher der Karl-Marx-Platz war, in der Mitte durchschneidet.

Wir haben übrigens noch eine „Zeitzeugin“ an die damalige Zeit, ein Original, das ist natürlich die Germania, aber die Kastanie, die hinter der Germania steht, also zur Nordstraße hin, stammt auch aus der Zeit. Das ist einer der wenigen Bäume, die damals schon zur Platzverschönerung gepflanzt wurden, und zwar wurde sie vom damaligen Verschönerungsverein Witten gestiftet. Die meisten Bäume, die wir in der Innenstadt haben, hat der Verschönerungsverein der Stadt Witten geschenkt. Das war eine große bürgerliche Vereinigung, überwiegend Industrielle und Unternehmer, die zwar sehr viel Geld mit der Industrie und der damit verbundenen Umweltverschmutzung verdienten, die aber gleichzeitig, weil sie hier wohnten, nicht unter den Folgen dieses Tuns leiden wollten, und deshalb meinten, die Stadt müsste begrünt werden.

Einige andere Bäume, die bis vor ein paar Jahren da auch noch gestanden haben, sind leider dann verschiedenen Sturmtiefs zum Opfer gefallen. Naja, sie sind eher der Umweltverschmutzung und dem Verkehr zum Opfer gefallen und konnten dann dem Sturm nichts mehr entgegensetzen.

Kastanien werden relativ alt, also diese letzte dürfte jetzt so ungefähr über 200 Jahre alt sein.

Nordstraße

Die Nordstraße ist eine der älteren Straßen, die schon existierte, als beschlossen wurde, die Bredde in ein Stadt Erweiterungsgebiet umzuwandeln. Die hatte damals noch keinen Namen, sie wurde 1863 benannt, und die ersten Pläne gehen auf 1850, 1852 zurück. Das war damals ein Weg, der ungefähr nur Richtung Norden führte. Wir haben die Oststraße, wir haben die Südstraße, aber erstaunlicherweise keine Weststraße in Witten.

Würdest Du die Wittener Innenstadt in diese sieben Viertel unterteilen?

Die Entwickler des Integrierten städtebaulichen Entwicklungskonzeptes (ISEK) unterteilten die Wittener Innenstadt in sieben Viertel. Wenn Du in der Wittener Innenstadt wohnst, vielleicht teilst Du die Innenstadt anders auf. Aber wie?

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