Nordstraße in Witten (Foto: Hendrik Glathe)

Die Nordstraße ist eine der älteren Straßen, die schon existierte, als beschlossen wurde, die Bredde in ein Stadt Erweiterungsgebiet umzuwandeln. Die hatte damals noch keinen Namen, ich glaube, sie wurde 1863 benannt, und die ersten Pläne gehen ja auf 1850, 1852 zurück. Das war damals ein Weg, der ungefähr nur Richtung Norden führte. Wir haben die Oststraße, wir haben die Südstraße, aber erstaunlicherweise keine Weststraße in Witten.

282,30

Meter länge

30. Juli 1863

Datum der Bennenung

Wichtige Einrichtungen

Haus der Jugend & Breddeschule

Die Nordstraße Nummer 20 von David Stehn, das ist das älteste Haus, typisch für die Bauweise bürgerlicher Häuser um 1860, das Baujahr ist wahrscheinlich 1863, kann doch 1859 sein. Da hat ein Anstreicher gewohnt, also ein Handwerker, der das Haus für sich und seine Familie errichtet hat. Es war das erste Haus und lange das einzige in dieser Straße, und dann wurden einige neue Häuser gebaut. Der Unternehmer Lüneburger hat das Zimmermannshaus, Hausnummer 23, mit dem schönen Spruch „deutsches Haus, deutsches Land. Beschirm es Gott mit starker Hand“ errichtet. Die Nummer 25 hat er errichtet, die Häuser Nummer 27 und das Haus um die Ecke, das gehörte dem Unternehmer Moll. Das sind also Häuser, die den Zweiten Weltkrieg nicht unbeschadet überstanden haben, aber immerhin gut renoviert wurden.

Das Haus Nummer 19 steht leider nicht mehr. Das hat die jüdische Gemeinde ursprünglich errichtet, da war die zweite Wittener Synagoge drin und die jüdische Schule. Das Haus Nummer 17 gab es nie, Nummer 15 ist das heutige Haus der Jugend, das gehörte dem Unternehmer Röding. Nummer 13 gehörte dem Herrn Fürst, ein sehr wichtiger Unternehmer in Witten. Nummer neun war ein Bergassessor, also ein sehr wichtiger Beamter für den Bergbau. In der Nummer 16, der Finanzinspektor Kaulart. Da ist dann, nachdem er ziemlich früh verstorben ist, ich weiß gar nicht, ob es seine Tochter oder seine Witwe war, Anna Kaulart, sehr lange gewesen. Die war Rotkreuzschwester. Und sehr spannend, hat die die unteren Räume im Erdgeschoss dieses Hauses an das damalige Bauamt der Stadt Witten vermietet, welches in der Nordstraße 19 untergebracht war, nachdem die jüdische Gemeinde da ausgezogen und zur Synagoge gezogen war. Die war nämlich eine richtig starke Frau. Unterm Dach, wo eigentlich die Dienstmädchenzimmer waren, hat unter anderem zu Beginn Gregor Boecker mal ein Zimmer gehabt für zwei Jahre. Boecker hat hinterher mit seiner Frau ein Kleidungstextilgeschäft aufgemacht. Beide sind ohne Kinder verstorben und haben mit ihrem Vermögen die Bürgerstiftung gegründet. Und dazwischen gibt es noch ganz viele jüdische Geschichte hier in der Nordstraße.

Jedenfalls ist die Nordstraße ein gutes Beispiel dafür, wie die Pläne der Stadt Witten schiefgingen.

Denn in allen Dokumenten ist zu lesen, die Stadt wollte gerne Arbeiterwohnungen haben, um die zunehmende Arbeitsbevölkerung unterzubringen. In der Nordstraße gibt es nicht ein einziges Haus, das für die Arbeitsbevölkerung gebaut wurde. Hier hat sich das solvente Bürgertum angesiedelt. Freiberufler in der Nordstraße 12 beispielsweise, das hat ein Kaufmann namens Wolfstein errichtet, für sich und seine vier Kinder. Jedes Haus hat hier eine sehr interessante Sozialgeschichte, und gleichzeitig ist es ein Symptom dafür, was in den Plänen der Stadt Witten so furchtbar schief ging.

Das soll uns aber nicht dazu verleiten, dass wir jetzt heute sagen, dass das hier so chic und bürgerlich ist, dass wir hier Gentrifizierung wollen, das wollen wir auch nicht, auf gar keinen Fall, bitte nicht. Noch ist alles schön bodenständig, die Mietpreise sind noch okay, aber wir müssen abwarten.

Wir sind also einmal um unser ganzes Viertel herum gelaufen, haben sozusagen die Grenzen abgesteckt, und werden dann auf die einzelnen wichtigen, schönen und spannenden Sachen in diesem Viertel noch zurückkommen.

Die wichtigsten Quellen liegen im Stadtarchiv in Witten, nämlich die Unterlagen über die damaligen Diskussionen, Pläne, wie bekommen die Stadtväter zwischen 1850 und 18760 diese Stadterweiterung hin. Es gab noch keine Maschinenschrift, die Dokumente sind in deutscher Schrift, in Sütterlin, geschrieben und extrem schwer zu lesen.

Es gibt noch weitere Quellen, an die man schlecht rankommt, das sind die Akten des Bauordnungsamtes. Das hat ein wunderbares Archiv. Da gibt es nämlich über jedes Haus in Witten eine Akte. Falls die Häuser abgerissen werden, wandert die Akte ins Stadtarchiv, dann hat man’s einfach. Aber ansonsten sind die nach wie vor im Bauordnungsamt. Man hat grundsätzlich das Recht, nach dem Informationsfreiheitsgesetz darauf zuzugreifen, aber es ist nicht so ganz einfach, da immer schutzwürdige Belange Dritter berührt werden. Wer ein Haus besitzt in diesem Viertel, der dürfte kein Problem haben, seine Akte zu bekommen.

Podcast-Episoden über die Nordstraße